374

 

Konrad von Würzburg: Das Herzmäre 375

 

 

 

 

 

Konrad von Würzburg

(c.1225/30-1287

 

It will be noted that Konrad was born at a time when the great figures of courtly poetry were ending their career. This is significant, for his work is very closely modeled on the great romances and yet it is utterly different from them in spirit and execution. Conscious of his role as poet and curator at a time when most poets are merely "künstelôse tôren," bumbling fools, during an age characterized by the collapse of central power—the so-called «Interregnum» from 1256-1273—and general social decline, he refers to himself as "nahtegal," nightingale, in Der Trojanerkrieg (l. 192).

 

Konrad was born in Würzburg, where Walther von der Vogelweide probably spent his last years and where he was buried. He did not stay there, however, nor did he find his patrons among nobles or bishops, but rather among the bougeoisie, a fact which is typical of the new forces guiding and supporting literature. In fact, he may be called the first professional ‘burgher poet.’ Konrad was a man of great talent. He wrote long romances, short verse narratives, and lyric poetry. He was a master of form, as his best lyrics show, but he was subject to the weakness of all writers who say things well but have little to say. He was best when he came closest to imitating the great classical writers, and at his worst when he tried to be more sophisticated than they and to improve upon their techniques. Then the result was preciosity, exaggeration, and even absurdity. In his narrative work, Konrad was closer to Gottfried von Straßburg than to Wolfram von Eschenbach, and he delights in brilliant description. He chose his material from the French romances, as can be seen from the titles of his poems of this type—Partonopier based on the work of Denis Piramus, and Trojanerkrieg, an unfinished version of the famous work of Benoit de Ste. Maure—but he needed a translator to help him with the French language. His other long work, Engelhard, is based on a Latin story on the theme of faithful friends, one of whom sacrifices his children so that the other may be cured of leprosy by their blood; the children are then miraculously restored to life. All these works share the common characteristics of the romance of adventure and little of the human interest or psychological skill of a Wolfram or a Gottfried. Konrad is at his best where such skills would not be expected, namely in the short verse narrrative. Here his technical abilities stood him in good stead. He could tell a story well, and there was no danger of his losing himself in overly long descriptions. Three of these are saints’ legends, Sylvester, Alexius, and Pantaleon, but the others fall into the category of the «Versnovelle», or «Märe». Most of these narratives were probably written relatively early in his career. Der Welt Lohn tells of the temptation of Wirnt von Grafenberg, himself a poet, to devote himself to «Frau Welt» and his revulsion on learning her true character. Otte mit dem Bart is the story of a quarrel between Heinrich von Kempten and Emperor Otto—possibly the historical Emperor Otto II (973-983) who had a reputation as a young firebrand and womanizer—that almost borders on the burlesque, and their subsequent reconciliation. Schwanritter is based on the widespread legendary history of the family of Godefroi de Bouillon.

376 Konrad von Würzburg: Das Herzmäre

 

Konrad von Würzburg 
Das Herzmäre

 

Ich prüeve in mîme sinne  

daz lûterlîchiu minne  

der werlte ist worden wilde.  

dar umb sô sulen bilde  

5 ritter unde frouwen 5  

an diesem mære schouwen,  

wand ez von ganzer liebe seit.  

des bringet uns gewisheit  

von Strâzburc meister Gotfrit:  

10 swer ûf der wâren minne trit 10  

wil eben setzen sînen fuoz,  

daz er benamen hœren muoz  

sagen unde singen  

von herzeclichen dingen,  

15 diu ê wâren den geschehen 15  

die sich dâ hæten undersehen  

mit minneclichen ougen.  

diu rede ist âne lougen:  

er minnet iemer deste baz  

20 swer von minnen etewaz 20  

hœret singen oder lesen.  

dar umbe wil ich flîzec wesen  

daz ich diz schœne mære  

mit rede alsô bewære  

25 daz man dar ane kiesen müge 25  

ein bilde daz der minne tüge,  

diu lûter unde reine  

sol sîn vor allem meine.  

Ein ritter unde ein frouwe guot  

30 diu hæten leben unde muot 30  

in einander sô verweben,  

daz beide ir muot unde ir leben  

ein dinc was worden alsô gar:  

swaz der frouwen arges war,

 

Konrad von Würzburg: Das Herzmäre 377

 

Konrad von Würzburg

Das Herzmäre

 

The Herzmære is based on a story which was told of several troubadours, as well as about Reinmar von Brennenberg 
(d. c.1276; ‘Ritter Bremberger’), a «Ministeriale» at the court of the bishop of Regensburg who is known for a style of poetry which is reminiscent of Walther von der Vogelweide’s «Minnelieder». Konrad clearly intends to portray a love not unlike that of Tristan and Isolde, which goes beyond any earthly considerations. Each of the protagonists dies of love, each believes in a higher love. The eating of the heart is obviously a symbolic, almost religious gesture. Yet, as Konrad tells it, the story tends to border on sentimentality. Konrad has considerable difficulty in depicting the passion of love the way Gottfried does. Thus he tells a pleasant tale rather than a tragic love affair. One can be sorry for his lovers, but they are not tragic. It will be noted that a great deal of the work consists of speeches, an indication of Konrad's desire to probe into the feelings of his characters.

Both English and French literature have versions of the story: the French Li roumans dou Chastelain de Couci et de la dame de Fayel, which supposedly represents the story of the life of the troubadour Guilem de Cabestanh, and a sixteenth century English romance, The Knight of Courtesy and the Fair Lady of Faguell. It is also interesting to note that the figure of the count was still well known in Goethe’s days; Ludwig Uhland resumed the theme in his "Der Kastellan von Couci" with an ironic, Romantic twist: the lady had not realized her love for the poet until she had eaten of his heart.

 

Wenn ich es recht bedenke, muß ich feststellen, / daß reine Minne / der Welt fremd geworden ist. / Deshalb sollen

(5) Ritter und edle Damen1 / ein Vorbild in dieser Geschichte erkennen, / denn sie erzählt von echter Liebe. / Dafür verbürgt sich kein Geringerer als / Meister Gottfried von Straßburg, daß

(10) jeder, der sich recht auf die Spur / der wahren Minne begeben will, / fürwahr / singen und sagen hören muß / von Herzensabenteuern,

(15) wie sie die einst erlebten, / die sich voll Liebe in die / Augen gesehen haben. / Denn es ist tatsächlich wahr: / Alle verstehen sich wirklich besser auf die Liebe,

(20) wenn sie etwas von der Minne / aus Lied oder Buch hören. / Darum will ich mich bemühen, / diese schöne Geschichte / so wahrhaftig zu erzählen,

(25) daß man dadurch ein Beispiel / gewinnt, das der Minne dient, / die rein und frei / von jeglichem Makel sein soll.

Ein Ritter und eine edle Dame

(30) waren einander mit Leib und Seele / so sehr verbunden, / daß beide innerlich wie äußerlich / ganz und gar eins geworden waren: / Alles, was die Frau betrübte,

378 Konrad von Würzburg: Das Herzmäre

 

35 daz war ouch deme ritter; 35  

dâ von ze jungest bitter  

wart ir ende leider;  

diu minne was ir beider  

worden sô gewaltec,  

40 daz si vil manicvaltec 40  

machte in herzesmerzen.  

grôz smerze wart ir herzen  

von der süezen minne kunt.  

si hæte si biz an den grunt  

45 mit ir fiure enzündet 45  

und alsô gar durgründet  

mit minneclicher trûtschaft,  

daz niemer möhte ir liebe kraft  

mit rede werden zende brâht.  

50 ir lûterlichen andâht 50  

niemen künde vollesagen.  

nie ganzer triuwe wart getragen  

von manne noch von wîbe,  

danne ouch in ir lîbe  

55 si zwei zesamne truogen. 55  

doch kunden sie mit fuogen  

zuo einander komen niht  

alsô daz si zer minne pfliht  

ir gernden willen möhten hân.  

60 daz süeze wîp vil wol getân 60  

het einen werden man zer ê,  

des wart ir herzen dicke wê:  

wande ir schœne was behuot  

sô vaste daz der herre guot  

65 nie mohte an ir gestillen 65  

sîns wunden herzen willen,  

daz nâch ir minne lac versniten.  

des wart diu nôt von in geliten  

diu strenge was und engestlich,  

70 nâch ir lîbe minneclich 70  

begunde er alsô vaste queln  

daz er sînen pîn verheln  

niht mohte vor ir manne.  

zuo der schœnen danne  

75 reit er swenne ez mohte sîn, 75  

und tet ir dô mit clage schîn  

sînes herzen ungemach;

 

Konrad von Würzburg: Das Herzmäre 379



(35) das schmerzte den Ritter gleichermaßen. / Daraus sollte ihnen schließlich / ein bitteres Ende erwachsen.2 / Die Minne hatte über beide / solche Gewalt gewonnen,

(40) daß sie ihren Herzen / tausendfache Schmerzen bereitete. / Ja, tiefen Schmerz mußte ihr beider Herz / durch die süße Minne kennenlernen. / Denn sie hatte sie bis auf den Grund ihrer Seele

(45) mit ihrer Glut entzündet / und sie so völlig durchdrungen / mit inniger Zuneigung, / daß niemals die Stärke ihrer Liebe / mit Worten wirklich wiedergegeben werden könnte.

(50) Ihre reine Zuneigung / kann niemand zureichend darstellen. / Größere Treue wurde / von keinem Menschen bewahrt, / als diese beiden in ihrem Leben

(55) einander bewahrten. / Doch konnten sie auf schickliche Weise / nicht zusammenkommen, / um ihrer Leidenschaft / den Minnesold zu gewähren.

(60) Die liebliche, wohlgestalte Frau nämlich / hatte einen angesehenen Gemahl: / Daraus entstand ihrem Herzen oft großer Kummer; / denn ihre Schönheit wurde so sehr bewacht, / daß der vornehme Ritter

(65) niemals bei ihr / das Verlangen seines wunden Herzens stillen konnte, / das die Liebe zu ihr verletzt hatte. / Deshalb litten sie große Pein, / die hart und schrecklich war;

(70) nach ihrem lieblichen Leib / ergriff ihn solche Sehnsucht, / daß er seine Qual nicht / vor ihrem Gatten verbergen konnte: / Er ritt jederzeit zu der Schönen,

(75) wenn es nur möglich war, / um ihr unter Klagen / den Kummer seines Herzens zu gestehen. /

380 Konrad von Würzburg: Das Herzmäre

 

dâ von ze jungest im geschach  

ein leit daz in beswârte.  

80 der frouwen man der vârte 80  

mit starker huote ir beider  

sô lange unz er leider  

an ir gebærden wart gewar  

daz si diu süeze minne gar  

85 het in ir stric verworren, 85  

daz si muosten dorren  

nâch einander beide.  

dar umbe wart vil leide  

disem guoten herren dô.  

[...]  

er kêrte dar ûf sînen sin  

daz er mit der frouwen  

120 benamen wolte schouwen 120  

Jerusalem daz reine lant.  

und dô der ritter daz bevant,  

der nâch ir süezen minne bran,  

dô wart der muotsieche man  

125 vil schiere des ze râte 125  

daz er nâch ir drâte  

wolte ouch varen über mer.  

in dûhte daz er âne wer  

dâ heime tôt gelæge,  

130 ob er sich des verwæge 130  

daz er wendic würde.  

der strengen minne bürde  

twanc sô vaste sînen lîp  

daz er durch daz schœne wîp  

135 wær in den grimmen tôt gevarn; 135  

dar umbe er doch niht langer sparn  

wolte nâch ir sîne vart.  

und dô des an im innen wart  

diu süeze tugende rîche,  

140 do besande in tougenlîche 140  

daz vil keiserlîche wîp.  

"friunt, herre", sprach si, "lieber lîp,  

mîn man ist an den willen komen,  

als dû wol selbe hâst vernomen,  

145 daz er mich flœhen wil von dir. 145  

nû volge, trûtgeselle, mir  

durch dîner hôhen sælden art

 

Konrad von Würzburg: Das Herzmäre 381

 

Durch dieses Verhalten sollte ihn schließlich / ein schweres Leid treffen.
(80) Der Ehemann spürte / ihnen beiden sehr genau nach, / so lange, bis er zu ihrem Unglück / an ihrem Verhalten bemerkte, / daß die liebliche Minne sie ganz und gar

(85) in Fesseln geschlagen hatte, / so daß sie beide / vor Sehnsucht nacheinander vergingen. / Daraus erwuchs / dem ehrsamen Mann viel Leid.

 

The husband decides to take his wife to the Holy Land, but she pursuades her lover to go and thus save her from the journey.

Er beabsichtigte fest, / mit seiner Gemahlin
(120) wirklich Jerusalem, die Heilige Stadt, / zu besuchen. / Als der Ritter das erfuhr, / der sich nach ihrer süßen Minne brennend sehnte, / da kam der liebeskranke Mann

(125) sehr schnell zu dem Entschluß, / ihr eilig nachzufahren, / ebenfalls übers Meer.3 / Er glaubte nämlich, daß er unweigerlich / in der Heimat sterben müsse,

(130) wenn er sich dazu entschlösse, / seine Absicht zu ändern. / Die Gewalt der unerbitt-lichen Minne4 / bedrängte ihn so stark, / daß er wegen der schönen Frau

(135) selbst in den bitteren Tod gegangen wäre. / So wollte er seine Fahrt / ihr nach nicht länger verzögern. / Als die Liebliche, Untadelige5 / seine Absicht erkannte

(140) da ließ die herrliche Frau / ihn heimlich zu sich rufen. / "Freund, Herr", begann sie, "Geliebtester, / mein Gemahl hat den Beschluß gefaßt— / wie du gewiß selbst gehört hast—,

(145) mich dir durch die Flucht zu entziehen. / Nun höre auf mich, Geliebter: / bei deiner edlen Güte bitte ich dich,

382 Konrad von Würzburg: Das Herzmäre

 

unde erwende dise vart,  

die sîn lîp hât ûf geleit  

150 über daz wilde mere breit: 150  

var alters eine drüber ê,  

dar umbe daz er hie bestê.  

wan swenne er hât von dir vernomen  

daz dû bist vor im über komen,  

155 sô belîbet er zehant, 155  

und wirt der arcwân erwant  

den sîn lîp hât ûfe mich,  

wand er gedenket wider sich:  

‘wære an diesen dingen iht  

160 der mîn herze sich versiht 160  

an mînem schœnen wîbe guot,  

der werde ritter hôchgemuot  

wære niht von lande komen.’  

sus wirt der zwîvel im benomen  

den wider mich sîn herze treit.  

[...]  

180 nu genc, vil lieber herre, her, 180  

enpfâch von mir diz vingerlîn:  

dâ bî soltû der swære mîn  

gedenken under stunden,  

dâ mite ich bin gebunden,  

185 sô dich mîn ouge niht ensiht: 185  

wan zwâre swaz sô mir geschiht,  

ich muoz an dich gedenken,  

dîn vart diu kan mir senken  

jâmer in mîns herzen grunt.  

190 gip mir her an mînen munt 190  

einen süezen friundes kus  

und tuo dur mînen willen sus  

als ich hân gesaget dir."  

[...]  

230 den êrsten kiel den er dâ vant, 230  

darinne wart er über brâht.  

er hæte sich des wol bedâht  

daz er ûf der erden  

niemer wolte werden  

235 fröudehaft noch rehte frô, 235  

got gefuoctez danne alsô  

daz er ze lande quæme  

und etewaz vernæme  

von der lieben frouwen sîn.

 

Konrad von Würzburg: Das Herzmäre 383

 

verhindere diese Fahrt / über das gefährliche, weite Meer,

(150) die er geplant hat: / Fahr du allein zuvor hinüber, / damit er hierbleibt./ Denn wenn er erst einmal von dir gehört hat, / daß du vor ihm über das Meer gelangt bist,

(155) dann bleibt er ohne weiteres hier, / und zugleich wird sein Argwohn beseitigt, / den er gegen mich hegt; / denn er wird bei sich denken: / ‘Wäre etwas von den Befürchtungen wahr,

(160) die mein Herz / wegen meiner schönen, ehrenhaften6 Gemahlin hegt, / dann hätte der edelgesinnte Ritter / nicht das Land verlassen.’ / Auf diese Weise wird ihm der Verdacht genommen,

(165) den sein Herz gegen mich gefaßt hat."

[...]

(180) "Nun komm her, Geliebtester, nimm von mir diesen Ring; er soll dich in der Zwischenzeit an meinen Schmerz erinnern, durch den ich dir verbunden bin,

(185) wenn dich auch mein Auge nicht sieht. Denn wahrlich, was mir auch geschieht, ich werde immer an dich denken; deine Fahrt wird mir den Kummer bis tief in des Herzens Grund senken.

(190) Gib mir auf den Mund einen zärtlichen7 Kuß, und handle um meinetwillen so, wie ich dir gesagt habe!"

The knight is so intent on pleasing his lady that he sets out for the Holy Land ("ließ er sich übersetzen") on the very first ship he sees on the shore.

(230) Mit dem ersten Schiff, das er dort fand, ließ er sich übersetzen. Er war völlig darauf gefaßt, auf dieser Welt nie mehr

(235) froh und glücklich zu werden, es sei denn, Gott fügte es, daß er wieder in die Heimat zurückkäme und etwas von seiner geliebten Herrin erführe.

384 Konrad von Würzburg: Das Herzmäre

 

240 des wart sîn herzeclîcher pîn 240  

vil strenge und ouch vil bitter:  

der tugenthafte ritter  

begunde nâch ir trûren  

und in sîn herze mûren  

245 vil jâmerlîche riuwe. 245  

sîn altiu sorge niuwe  

nâch ir süezen minne wart.  

der reinen turteltûben art  

tet er offenlîche schîn,  

250 wande er nâch dem liebe sîn 250  

vermeit der grüenen fröuden zwî  

und wonte stæteclîche bî  

der dürren sorgen aste.  

er sente nâch ir vaste,  

255 und wart sîn leit sô rehte starc 255  

daz im der jâmer durch daz marc  

dranc unz an der sêle grunt;  

er wart vil tiefer sorgen wunt  

und inneclicher swære.  

260 der sende marterære 260  

sprach ze maneger stunde  

mit siufzendem munde:  

"gêret sî daz reine wîp,  

der leben und der süezer lîp  

265 mir gît sô herzeclichen pîn. 265  

jâ si liebiu frouwe mîn,  

wie kan ir süeziu meisterschaft  

sô bitterlicher nœte craft  

senden mir ze herzen!  

270 wie mac sô grôzen smerzen 270  

ir vil sælic lîp gegeben!  

sol si trœsten niht mîn leben,  

sô bin ich endelîche tôt."  

In dirre clagenden herzenôt  

275 was er mit jâmer alle tage, 275  

und treip sô lange dise clage  

biz er ze jungest wart geleit  

in alsô sende siecheit  

daz er niht langer mohte leben.  

280 im wart sô grimmiu nôt gegeben 280  

daz man wol ûzen an im sach  

den tougenlichen ungemach

 

Konrad von Würzburg: Das Herzmære 385

 

(240) Daraus enstand ihm / harte und bittere Herzensqual. / Der edle Ritter / sehnte sich trauernd nach ihr / und vermauerte dieses qualvolle Leid

(245) in sein Herz. / Seine alte Sehnsucht / nach ihrer zärtlichen Minne wurde immer wieder neu. / Wie die unschuldige Turteltaube8 / verhielt er sich offenkundig;

(250) denn in Gedanken an seine Geliebte / mied er den Zweig der grünenden Freude / und verharrte ständig / auf dem Ast der dürren Trübsal.9 / Er sehnte sich unendlich nach ihr,

(255) und sein Schmerz wurde so übermächtig, / daß ihm das Leid durch das Mark / bis in den tiefsten Grund seiner Seele drang. / Er wurde krank vor großem Gram und innerlichem Schmerz.

(260) Der sehnsuchskranke Märtyrer / redete oft / mit seufzender Stimme: / "Gepriesen sei die edle Frau, / deren Leben und lieblicher Leib

(265) mir solche Herzensqual bereiten. / Ach, sie meine geliebte Herrin— / wie kann ihre zarte Herrschaft / eine solche Menge bitterer Schmerzen meinem Herzen zufügen!

(270) Wie kann so großen Schmerz / diese Holdselige verleihen! / Wenn sie mir nicht Trost und Zuversicht gibt, / so werde ich bald tot sein." / In dieser tiefen Herzensqual

(275) trauerte er alle Tage / und klagte so lange / bis er zuletzt / so liebeskrank wurde,10 / daß er nicht länger zu leben vermochte.

(280) Ihm wurde ein so großer Schmerz zugefügt, / daß man ihm schon äußerlich ansah, welch heimliche Trübsal

 

386 Konrad von Würzburg: Das Herzmäre

 

den innerhalp sîn herze truoc  

[...].  

dô sprach er zuo dem cnehte sîn:  

"vernim mich, trûtgeselle mîn;  

ich bevinde leider wol  

290 daz ich benamen sterben sol 290  

dur liebe mîner frouwen,  

wan si mich hât verhouwen  

biz ûf den tôt mit sender clage.  

dar umbe tuo daz ich dir sage:  

295 swenne ich sî verdorben 295  

unde ich lige erstorben  

durch daz keiserlîche wîp,  

sô heiz mir snîden ûf den lîp  

und nim dar ûz mîn herze gar,  

300 bluotic unde riuwevar; 300  

daz soltu denne salben  

mit balsam allenthalben,  

durch daz ez lange frisch bestê.  

vernim waz ich dir sage mê:  

305 frum eine lade cleine 305  

von golde und von gesteine,  

dar în mîn tôtez herze tuo,  

und lege daz vingerlîn dar zuo  

daz mir gab diu frouwe mîn:  

310 sô diu zwei bî einander sîn 310  

verslozzen und versigelet,  

sô bring alsô verrigelet  

si beidiu mîner frouwen,  

durch daz si müge schouwen  

315 waz ich von ir habe erliten, 315  

und wie mîn herze sî versniten  

nâch ir vil süezen minne.  

[...]  

Mit dirre clagenden herzenôt  

335 der ritter nam sîn ende. 335  

dar umbe sîne hende  

der cneht vil jâmerlîche want;  

er hiez in snîden ûf zehant  

unde erfulte im sîne bete.  

340 swaz er in ê gebeten hete 340  

daz tet er unde kêrte dan

 

Konrad von Würzburg: Das Herzmære 387

 

er in seinem Herzen trug.

 
As he lies dying, he orders his squire to have his heart embalmed and to take it back to his beloved.

Da sagte er zu seinem Knappen: / "Höre mich an, mein Freund, / ich spüre leider zu genau,
(290) daß ich unweigerlich sterben muß, / und zwar aus Liebe zu meiner Herrin; / denn sie hat mich mit Sehnsuchtsschmerz / zu Tode verwundet. / Darum tu, was ich dir auftrage:

(295) Wenn ich gestorben bin / und tot daliege / wegen dieser herrlichen Frau, / dann laß mir den Leib aufschneiden / und nimm mein Herz gänzlich heraus,

(300) blutend und trauerfarben, wie es ist. / Das sollst du dann / völlig einbalsamieren, damit es lange erhalten bleibt. / Höre, was ich dir noch auftrage:

(305) Richte ein zierliches Kästchen her / aus Gold und Edelsteinen; / dorthinein bette mein totes Herz / und lege den Ring dazu, / den mir meine Herrin gegeben hat.

(310) Wenn Herz und Ring zusammen / eingeschlossen und versiegelt sind, / dann bringe beide so verwahrt / meiner Herrin, damit sie daraus ersehen kann,

(315) was ich ihretwegen erlitten habe / und wie mein Herz in Sehnsucht / nach ihrer zärtlichen Minne gebrochen ist."

[...]

In solcher Seelenqual
(335) verschied der Ritter. / Da rang der Knappe / voll Jammer die Hände. Er ließ ihn sogleich aufschneiden / und erfüllte ihm seine Bitte.11

(340) Alles, um was er ihn vor seinem Tod gebeten hatte, / führte er aus, um dann

388 Konrad von Würzburg: Das Herzmäre

 

als ein fröudelôser man  

mit dem herzen alsô tôt.  

er fuorte ez, als er im gebôt,  

345 zuo der selben veste 345  

dâ er si ûfe weste  

durch die der liebe herre sîn  

leit des grimmen tôdes pîn.  

Dô er zuo der veste quam  

350 dâ diu frouwe tugentsam 350  

was inne bî der selben zît,  

dô reit im ûf dem velde wît  

ir man engegen von geschiht  

und wolte, als uns daz mære giht,  

355 dâ lîhte hân gebeizet. 355  

des wart der cneht gereizet  

ûf clegelichez ungemach;  

wan dô der ritter in gesach,  

dô gedâhte er alzehant:  

360 "zwâre, dirre ist her gesant 360  

umb anders niht wan umbe daz  

daz er mæres etewaz  

bringe mînem wîbe  

von sînes herren lîbe  

365 der nâch ir minne jâmer treit." 365  

hie mite er zuo dem cnehte reit  

und wolte in mære frâgen sâ.  

dô gesach er schiere dâ  

die lade von gezierde cluoc,  

370 darinnen er daz herze truoc 370  

und der frouwen vingerlîn.  

er hætes an den gürtel sîn  

gehenket beidiu von geschiht  

als ob ez wære anders iht.  

375 Dô der ritter daz ersach, 375  

den cnappen gruozte er unde sprach,  

waz er dar inne trüege.  

dô sprach der vil gefüege  

und der getriuwe jungelinc:  

380 "herr, ez ist einer hande dinc 380  

daz verre bî mir ist gesant."  

"lâ sehen", sprach er alzehant,  

"waz drinne sî verborgen!"  

dô sprach der cneht mit sorgen:

 

Konrad von Würzburg: Das Herzmäre 389

 

als freudloser Mensch / mit dem toten Herzen heimzukehren. Er brachte es, wie ihm aufgetragen worden war,

(345) zu eben der Burg, / auf der er die Dame wußte, / derentwegen sein geliebter Herr / den bitteren Todesschmerz hatte erdulden müssen.

Als er zu der Burg kam,
(350) in der die Edle / sich damals aufhielt, / da ritt ihm auf dem freien Feld / zufällig ihr Ehemann entgegen / und wollte, wie uns die Geschichte erzählt,

(355) dort wohl der Falkenjagd nachgehen. / Diese Begegnung versetzte den Knappen in Unruhe, / denn er fürchtete ein beklagenswertes Unglück. / Als der Ritter ihn nämlich erkannt hatte, / dachte er gleich bei sich:

(360) "Gewiß ist der Knappe / zu keinem andern Zweck hierhergesandt, / als um meiner Frau irgendeine Nachricht / zu überbringen, und zwar von seinem Herrn,

(365) der sich klagend nach ihrer Minne sehnt." / Mit diesen Gedanken ritt er zu dem Knappen / und wollte ihn sogleich wegen der Nachricht befragen. / Als er angekommen war, gewahrte er bald / das kunstvoll verzierte Kästchen,

(370) worin der Knappe das Herz trug / und den Ring der Herrin. / Er hatte es an seinen Gürtel wie zufällig12 gehängt, / als handle es sich um etwas Gleichgültiges.13

(375) Als aber der Ritter das sah, / grüßte er den Knappen und fragte, / was er darin trüge. / Da sagte der gehorsame / und treue Bursche:

(380) "Herr, das ist etwas, / was jemand aus der Ferne durch mich hergesandt hat." / "Laß sehen", erwiderte der Ritter sogleich, / "was darin verborgen ist!" / Besorgt antwortete der Knappe:

 

390 Konrad von Würzburg: Das Herzmäre

 

385 "zwâre des entuon ich niht, 385  

kein mensche ez niemer gesiht  

wan der ez sol von rehte sehen."  

"nein, alsô mag ez niht geschehen",  

sprach der ritter aber zime,  

390 "wand ich dirz mit gewalte nime 390  

und schouwe ez sunder dînen danc."  

Dar nâch was vil harte unlanc  

biz daz er im daz ledelîn  

brach von deme gürtel sîn.  

395 daz tet er ûf mit sîner hant: 395  

daz herze sach er unde vant  

dâ bî der frouwen vingerlîn.  

an den zwein wart ime schîn  

daz der ritter læge tôt  

400 und disiu beidiu sîner nôt 400  

ein urkünde wæren  

ze der vil sældenbæren.  

Der ritter sprach dem cnehte zuo:  

"ich sage dir, cnappe, waz du tuo:  

405 var dîne strâze, wellest dû, 405  

ich wil daz cleinœte nû  

mir selben hân, daz sage ich dir."  

Sus reit er heim nâch sîner gir  

und sprach ze sînem koche sâ,  

410 daz er im ûz dem herzen dâ 410  

ein cleine sundertrahte  

mit hôhem flîze mahte.  

daz tet der koch mit willen gar:  

er nam zuo im daz herze dar  

415 und mahte ez alsô rehte wol 415  

daz man enbîzen niemer sol  

dekeiner slahte spîse,  

diu alsô wol nâch prîse  

mit edeln würzen sî gemaht  

420 als daz herze vil geslaht. 420  

Als ez wart gar bereitet,  

dô wart niht mê gebeitet;  

der wirt gienc ezzen über tisch  

und hiez tragen alsô frisch  

425 die trahte sînem wîbe dar. 425  

"frouwe", sprach er suoze gar,  

"diz ist ein spîse cleine,

 

Konrad von Würzburg: Das Herzmære 391

 

(385) "Das tu ich beileibe nicht; / kein Mensch wird es je sehen / außer dem, der es rechtens sehen darf." / "Nein, das wird nicht geschehen", / erwiderte der Ritter ihm,

(390) "denn ich nehme es dir mit Gewalt / und sehe es mir eben ohne deine Zustimmung an." / Im selben Augenblick / riß er ihm das Kästchen / vom Gürtel ab und

(395) öffnete es mit der Hand. / Da sah er das Herz und fand / dabei den Ring seiner Gemahlin; / daran erkannte er, / daß der Ritter gestorben war

(400) und daß diese beiden / ein Zeugnis seiner Qual / um die beglückende Geliebte waren.

Der Ritter wandte sich zu dem Knappen: / "Ich will dir sagen, Knappe, was du zu tun hast:
(405) "Zieh gefälligst deines Wegs; / ich werde jetzt diesen Schatz für mich behalten, / das laß dir gesagt sein." / Darauf trieb es ihn heimzureiten. / Seinem Koch befahl er sofort,

(410) ihm aus dem Herzen / eine feine, besonders köstliche Mahlzeit / mit größter Sorgfalt zu bereiten. / Das tat der Koch sehr gern. / Er nahm das Herz entgegen

(415) und richtete es so köstlich an, / daß man wohl niemals mehr / ein Gericht wird essen können, / das ebenso vorzüglich / mit edlen Gewürzen bereitet ist
(420) wie dieses hochedle Herz.

Als es fertig angerichtet war, / da wartete man nicht länger. / Der Hausherr setzte sich zur Tafel / und ließ das Gericht frisch

(425) seiner Gemahlin auftragen. / "Herrin", sagte er honigsüß, / "dies ist ein köstliches Gericht,

392 Konrad von Würzburg: Das Herzmäre

 

die solt du ezzen eine,  

wan dû ir niht geteilen maht."  

430 sus nam diu frouwe vil geslaht 430  

und az ir friundes herze gar,  

alsô daz si niht wart gewar  

welher slahte ez möhte sîn.  

daz jâmerlîche trehtelîn  

435 sô süeze dûhte ir werden munt 435  

daz si dâ vor ze keiner stunt  

nie dekeiner spîse gaz  

der smac ir ie geviele baz.  

Dô diu frouwe stæte  

440 daz herze gezzen hæte, 440  

dô sprach der ritter alzehant:  

[...]  

460 "vernim vil rehte waz ich dir 460  

mit worten hie bescheide:  

zam und wilde beide  

was disiu trahte, sam mir got!  

den fröuden wilde sunder spot,  

465 den sorgen zam ân underlâz: 465  

du hâst des ritters herze gâz  

daz er in sîme lîbe truoc,  

der nâch dir hât erliten gnuoc  

jâmers alle sîne tage.  

470 geloube mir waz ich dir sage. 470  

er ist von sender herzenôt  

nâch dîner süezen minne tôt,  

und hat dir daz herze sîn  

und daz guote vingerlîn  

475 zeim urkünde her gesant 475  

bî sînem cnehte in ditze lant."  

Von disem leiden mære  

wart diu sældenbære  

als ein tôtez wîp gestalt,  

480 ir wart in deme lîbe kalt 480  

daz herze, daz geloubent mir.  

ir blanken hende enphielen ir  

beide fürsich in die schôz,  

daz bluot ir ûz dem munde dôz,  

485 als ir diu wâre schult gebôt. 485  

"ja", sprach si dô mit maneger nôt,  

"hân ich sîn herze denne gâz

 

Konrad von Würzburg: Das Herzmære 393

 

das sollst du ganz allein essen; / teilen kannst du es nicht."
(430) So nahm die edle Frau das Gericht / und verspeiste das Herz ihres Freundes, / ohne zu merken, / was sie da aß. / Die beklagenswerte kleine Mahlzeit

(435) schmeckte der Edlen so köstlich, / daß sie nie zuvor / eine Speise gegessen hatte, /
die ihr besser gemundet hätte.

Als die getreue Dame
(440) das Herz gegessen hatte, / sagte ihr Gemahl sogleich:

[...]

"Herrin,
(460) hör genau zu, / was ich dir hier auseinandersetze: / Zahm und wild zugleich / war diese Speise—bei Gott! / Diesem Fleisch war wahrhaftig alle Freude

(465) fremd geworden, aller Kummer aber ständig vertraut. / Du hast das Herz des Ritters gegessen, / das er in seinem Leib trug; / er hat deinetwegen sein Leben lang / Kummer übergenug erlitten.

(470) Glaube mir, was ich dir sage. / Er ist vor quälender Herzenssehnsucht / nach deiner zärtlichen Minne gestorben / und hat dir sein Herz / und den kostbaren Ring

(475) zum Beweis / durch seinen Knappen hierhergesandt."



Bei dieser leidvollen Erzählung / nahm die Beglückende14 / das Aussehen einer Toten an;
(480) das Herz erkaltete ihr im Leib, / das glaubt mir. / Ihre makellosen Hände sanken ihr / leblos in den Schoß, / Blut stürzte aus ihrem Mund—

(485) das bewirkte ihr hartes Schicksal. / "Ja", sagte sie dann unter vielen Qualen, / "habe ich also dessen Herz gegessen, /

394 Konrad von Würzburg: Das Herzmäre

 

der mit hât ân underlâz  

von grunde ie holden muot getragen,  

490 sô wil ich iu benamen sagen, 490  

daz ich nâch dirre spîse hêr  

dekeiner trahte niemer mêr  

mich fürbaz wil genieten.  

got sol mir verbieten  

495 durch sînen tugentlichen muot, 495  

daz nâch sô werder spîse guot  

in mich kein swachiu trahte gê.  

enbîzen sol ich niemer mê  

dekeiner slahte dinges,  

500 wan des ungelinges 500  

daz geheizen ist der tôt.  

ich sol mit sender herzenôt  

verswenden hie mîn armez leben  

umb in der durch mich hât gegeben  

505 beidiu leben unde lîp. 505  

ich wære ein triuwelôsez wîp,  

ob ich gedæhte niht daran  

daz er vil tugenthafter man  

sante mir sîn herze tôt."  

[...]  

sus wart ir nôt sô rehte starc  

daz si von herzenleide  

ir blanken hende beide  

mit grimme zuo einander vielt.  

520 daz herze ir in dem lîbe spielt 520  

von sender jâmerunge.  

Hie mite gap diu junge  

ein ende ir süezen lebene  

und widerwac vil ebene  

525 mit eime swæren lôte 525  

swaz ir dâ vor genôte  

ir friunt geborget hæte.  

si galt mit ganzer stæte  

und ouch mit hôhen triuwen ime.  

530 Got welle, swaz ich dinges nime, 530  

daz ich wider geben daz  

müeze sanfter unde baz  

dann ir vil reinez herze tete.  

ich wæne daz an keiner stete  

535 wart nie vergolten alsô gar 535

 

Konrad von Würzburg: Das Herzmære 395



der mir stets aus ganzer Seele hold gewesen ist,
(490) so will ich Euch ein für allemal sagen, / daß ich nach solch edler Speise / ferner15 keine Mahlzeit mehr / genießen will. / Gott bewahre mich

(495) in seiner Güte, daß ich nach einer / so auserwählten und einzigartigen Speise / jemals wieder gewöhnliche Nahrung zu mir nähme! / Nie mehr will ich irgend etwas genießen, / es sei, was es wolle:

(500) einzig und allein nur das Leid, / das Tod genannt wird. / Ich will mit quälender Herzenssehnsucht / mein elendes Leben fortan hingeben / für ihn, der um meinetwillen

(505) Leib und Leben verloren hat. / Ich wäre eine treulose Frau, / wenn ich nicht stets daran dächte, / daß er, der edle Mann, / mir sein totes Herz gesandt hat."

[...]

(516) Da wurde ihr Schmerz so übergroß, / daß sie vor Herzensjammer/ ihre makellosen Hände / schmerzlich ineinanderkrampfte.16

(520) Das Herz brach ihr im Leibe / vor Sehnsuchtsschmerz. / So gab die junge Frau / ihrem Leben ein Ende / und wog all das genau

(525) mit schwerem Gewicht auf, / was ihr zuvor ohne Zögern / ihr Freund alles gegeben hatte. / Sie vergalt es ihm mit unbeirrbarer / und großer Treue.

(530) Gott gebe, daß ich alles, was ich je borge, / weniger schmerzlich und auf leichtere Art / zurückzugeben vermöchte, / als es ihr reines Herz getan hat. / Denn ich glaube, daß noch nirgendwo

(535) etwas so vollständig vergolten wurde,

396 Konrad von Würzburg: Das Herzmäre

 

noch niemer wirt: des nim ich war  

an den liuten die nu sint;  

wand in froun Minnen underbint  

lît niht sô strengeclichen an  

540 daz beidiu frouwen unde man 540  

zesamene gebunden sîn,  

daz si des grimen tôdes pîn  

nu durch einander lîden.  

[...]  

âne grimmes tôdes strît  

werdent si gescheiden wol  

550 die nu kumberlîche dol 550  

durch einander wellent tragen.  

frou Minne gît bî disen tagen  

in selten alsô guoten kouf.  

wîlen dô sie niender slouf  

555 ze tugentlôser diete 555  

umb alsô swache miete,  

dô dûhte ir süezekeit sô guot  

daz durch si manic edel muot  

biz ûf den tôt versêret wart.  

560 nu hât verkêret sich ir art 560  

und ist sô cranc ir orden,  

daz sie wol veile ist worden  

den argen umbe ein cleinez guot.  

dar umbe lützel iemen tuot  

565 durch si nû dem lîbe wê. 565  

man wil dar ûf niht ahten mê,  

und tiuret daz vil cleine  

daz sich algemeine  

den liuten hât gemachet,  

570 daz ist dâ von geswachet. 570  

als ist ez umb die minne:  

gewünne si die sinne  

daz si noch tiurre würde,  

ez wære jâmers bürde  

575 nie geleget vaster an 575  

dann iezuo frouwen unde man:  

ez würde nâch ir sô gestriten  

und für einander sô geliten  

daz man ez gerne möhte sehen.  

580 Niht anders kan ich iu verjehen, 580  

von Wirzeburc ich Cuonrât.

 

Konrad von Würzburg: Das Herzmære 397



noch je vergolten wird. Das sehe ich / an den Menschen, die jetzt leben;17 / denn für sie ist die Bindung durch die Frau Minne / nicht mehr so fest,

(540) daß Mann und Frau / derart miteinander verbunden sind, / daß sie den bitteren Todesschmerz / auch heute noch umeinander erleiden würden.18

[...]

Ohne harten Todeskampf / lassen sich heute die trennen,
(550) die ein beschwerliches Los / umeinander tragen sollten. / Frau Minne gibt ihnen heutzutage / nie einen derartigen Gewinn. / Aber damals fand sie sich auch nie

(555) bei gewöhnlichen Leuten zu einem so geringen Preis ein; / damals19 galt die Minne noch so viel, / daß um ihretwillen viele edle Gemüter / auf den Tod verwundet wurden.

(560) Nun aber hat sich ihr Wesen gewandelt, / und ihr Stand ist so schwach, / daß sie schlechten Menschen käuflich wurde / für eine Kleinigkeit. / Darum empfindet auch niemand mehr

(565) um ihretwillen körperlichen Schmerz. / Man achtet sie nicht mehr; / denn man schätzt das gar nicht, / was sich den Leuten / gemein gemacht hat.

(570) Davon wird es wahrlich geschwächt. / So steht es auch um die Minne: / Wenn sie die Seelen gewinnen könnte, / so daß sie wieder geschätzt würde, / dann wäre die Last des Kummers

(575) niemandem stärker auferlegt / als den heute lebenden Frauen und Männern: / Denn dann würde wieder um sie so gekämpft / und füreinander so gelitten, / daß man es mit Freude sehen könnte.

(580) Nichts anderes kann ich euch erzählen, / ich Konrad von Würzburg.20

The remaining seven lines of the poem represent an appeal to the people who may still have preserved within their hearts the pure love of an "edel herze"21 to consider the story, to learn its lesson well, and to strive for the preservation, if not revival, of this special kind of love. 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

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